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Hamburg. Reeperbahn. 25. Januar 2013. Präabend. Viertel nach fünf. Lange Schlange. Wieder mal ein Konzert, bei dem man lange anstehen muss. Um halb sechs begann der Einlass in die Große Freiheit 36. Dann ging es auch eigentlich recht flott. Leider haben wir es aufgrund der langen Schlange nicht nach vorne geschafft. Julia konnte aber nicht früher in Hamburg sein. Naja, drängte man sich nach oben auf die Empore.

Endlich schaff ich es mal Jennifer Rostock live zu erleben. Also abseits von Festivals. Da werden die ja meist nicht so gewürdigt, wie sie es sollten. Das Publikum war gemischt. Neben uns kleine dicke Teenies, vor uns ein altes Ehepaar, die man eher beim Musikantenstadl erwartete. Es füllte sich rasch. Man trank Bier. Überpünktlich ging es los. Die Jungs und das Mädel wissen also, wie man sein Publikum behandelt. Man lässt es nicht warten.

Aufbau West. So hieß die Vorband. Richtig gut sind die. Da hat es sich echt gelohnt so früh loszufahren, auch wenn man trotzdem nicht vorne stand. Ganz witzige Jungs, die sich wohl nicht ganz so ernst nehmen und noch dazu schöne Lieder haben. Sie sangen ein paar ihrer Songs, ehe Jennifer mitten im Lied »die sicher schlimmste Wahl« unerwartet auf die Bühne kam. Schlonzig mit dicker Jacke und Winterwollmütze. Aber mit toller Stimme. Mein absolutes Highlight dieser Vorband. Ich lege sie jedem ans Herz!

Es folgte ein DJ, der sich Amokkoma nannte. Man die haben echt für ein Hammerprogramm gesorgt. Durchgeplant bis zum Letzten. So kann gar keine Langeweile aufkommen. Durchgehend laute Musik. Ich mein: was gibt es Schlimmeres als die Stille während der Umbaupause? Leider legte Amokkoma nur Dubstep auf, nach einigen Lieder klang das dann alles gleich. Irgendwie passte es aber zur Hauptband. Irgendwie auch nicht. Ich war da zwiegespalten.

Im Hintergrund wurden Reflektoren mit aufgemalten Blitzen drapiert. Nahtlos ging es über zur zweiten Band: Heisskalt. Sie kamen auf die Bühne und ich dachte »oh Gott, die mag ich nicht«. Das Gefühl hielt ungefährt ein halbes Lied, dann hab ich bemerkt, dass die sich auch nicht ganz so ernst nehmen und Spaß am Auftritt haben. Die komische Art war nur gespielt. Die Lieder etwas rockiger als die von Aufbau West. Trotzdem sehr gut. Stimmung auch gut. Besser, als man es sonst von Vorbands gewohnt ist. Man merkt auch, dass die sich alle mögen. Harmonie auf der Bühne ist immer super! Ich hab jedenfalls zwei neue Bands gefunden, mit denen ich mich näher beschäftigen muss.

Weiter ging es mit den Dubstepklängen. Alle halfen beim Umbau mit. Vorbands und Bühnenarbeiter. Echt alles super organisiert. Man munkelte, dass Jennifer Rostock um 20 Uhr auf der Bühne stehen wollten. Kurz vor acht: Stromausfall. Keine aggressiven Bässe mehr. Das »*_*« im Hintergrund der Bühne begann zu leuchten. Störsignale ertönten. Die Band stürmte auf die Bühne. Ohne Jenny… sorry, so soll man sie ja nicht nennen… ohne Jennifer. Da die Band meistens eh nur auf Jennifer reduziert wird, fand ich das ganz gut, dass auch wirklich jeder mitbekommt, dass die Leute mehr als nur ein Mädel sind.

Energiegeladen ging es los mit Glitterflitter, Energie und heißer Stimmung. Noch dazu ein heißes Outfit. Ein quasi durchsichtiger Bodysuit auf fast durchgehend tattoowierter Haut ist schon sehr sexy. Unterwäsche ist glaub ich auch überbewertet. Zwischen den Beinen, also zwischen den Zeilen gelingt es mir zuweilen, mich daran aufzugeilen. Das bleibt auch so, solange das so gilt, das macht mich fuchsteufelswild. Zur Abkühlung versank direkt mal das Schiff, auf dem wir hüpften. Was machte der Kapitän? Er trank, als das Schiff versank!

Das tolle an Jennifer ist ja ihre Schlagfertigkeit. Als der kleine Mann da unten im Publikum »ausziehen« schrie, machte sie ihn etwas fertig. Das war super. Die Wortwahl lass ich hier mal außen vor, jedenfalls hat sie den Ausruf dann auf ihn bezogen. Der wird nie im Leben mehr auch nur an so einen Aussage denken. Zwischendurch gab es Schnaps. Ach und Ti… Brüste. Für jedes Mädel, das blankzog gab es ein Gratisgetränk. Zwischendurch warf sie noch mal drei Backstagepässe in die Menge.

Nachdem also diverse Mädels auf den Schultern ihrer Freunde mit ihren Brüsten spielten, wurde eine Geschlechtsstatistik aufgestellt. Frauen gehen da hoch und streichen den Himmel neu. Kerle gehen hier hoch und machen die Sterne scheu. Als Anmachspruch ist das wohl aber nicht geeignet. Trotzdem will man ihr an die Wäsche. Flo, der Sänger von Aufbau West durfte das dann sogar. Er war der Sido-Ersatz. Anscheinend durfte er ihr sogar wirklich an die Wäsche, denn plötzlich waren sie verschwunden. Ach nee doch nicht. Da unten fand man Jennifer mit Baku zwischen Laken und Lügen.

Irgendwas ging da wohl schief. Sie waren bestimmt einen Herzschlag lang zu jung und naiv. Doch jetzt ist endlich die Zeit für die freie Liebe gekommen! Schwul, lesbisch, hetero, alle Pärchen sollen sich küssen. Ein Zeichen gegen die homophobe Einstellung Russlands setzen. Untermalt wurde dies von Joe mit dem Alltimeklassiker »er gehört zu mir«, während Jennifer die ganze Band abknutschte. Das war sogar recht schön. Jenny (sorry) unterbrach ihn dann aber mit einem Song einer sehr großen Schwulenikone: »born this way«. Bunte Lichter, stimmungsvolles Rumgehüpfe. Das war spaßig.

Schnaps. Bier. Für einige aus dem Publikum. Es wurden ruhigere Töne angestimmt. Drei Mädels und ein Junge krabbelten auf die Bühne. Sie sahen allesamt sehr jung aus. Meinten aber, dass sie alle mindestens 16 seien. Drei Biere wurden verteilt. Die Vierte bekam eine Banane. Doch es gibt keinen Grund, sich jetzt zu hassen, denn wer ist Schuld daran, wenn momente sich verpassen? Ich hör nicht deine Worte, sie verlaufen sich im Wind. Du schaust mich an, doch deine Blicke bleiben blind. Du bist irgendwo anders. Irgendwo anders. Und ich spür dich nur noch schwach. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr. Mein Blick ist trocken, meine Hände leer. Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr. Und ich weiß es ist nicht fair.

Draußen war es übrigens sehr kalt. Mathias von Heisskalt kam auf die Bühne. Ihm sah man die Kälte draußen nicht an. Aber es war Winter und alles war weiß. Wir waren gefangen wie Insekten im Eis. Ich war bis jetzt noch auf keinem Konzert, auf dem die Hauptband so viel mit den Vorbands interagiert. Jennifer Rostock promotet seine Vorbands richtig exzessiv. Richtig gut. Noch dazu merkt man, dass die zusammen einfach sehr viel Spaß haben. Das macht dem Publikum natürlich auch Spaß. Ich kann mich nicht entscheiden, wer von uns beiden, kann mich nicht entscheiden, wer von uns beiden, kann mich nicht entscheiden, wer von uns beiden meine bessere Hälfte ist.

Achtung, Achtung, tanz Dich barfuß durch die Welt! Achtung, Achtung, tanz Dich barfuß durch die Welt! Denn Zeit ist Bares, alles andere ist egal! Jeder Augenblick ist Hartgeld, und wir haben die Wahl! Kopf oder Zahl? Denn die gute Jennifer hat sich mal wieder zwei Mädels auf die Bühne geholt. Die sollten jetzt »Kopf oder Zahl« singen. Sowas wie ein Battle war das. Die Mädels waren etwas nervig, weil die sich nicht entschieden konnten, wer welche Strophe singt. Das war Jenny auch kurzerhand zuviel, sodass sie ungehalten reagierte und kurz von der Bühne verschwand. Schlussendlich wurden sie sich aber doch einig. Das Applausometer stimmte ganz klar für das Mädel mit der zweiten Strophe. Auch sie bekam für sich und ihre Begleitung Backstagepässe geschenkt.

Frage 1: Wieso stand ich nicht vorne?
Frage 2: Wieso kann ich nicht singen?

Das war dann auch schon das Ende. Viel zu schnell war’s vorbei. Wo wollt ihr hin? Ich hab noch ein Streichholz in der Hand. Die Erde hinter mir ist längst verbrannt. Zum Glück habt ihr noch mal nach Feuer gefragt. Jetzt steck ich mein Streichholz wieder ein. Ich geb euch Feuer und dann geh ich auch wieder heim. Wir sangen gemeinsam. Also wirklich alle. Hauptband, Vorbands, Publikum. Alle standen sie da und sangen. Jetzt ist das Feuer vorüber, doch die Glut noch heiß. Und mit verbrannten Füßen schleichen wir immer noch im Kreis. Wir sind taktlos, taktlos.

Jetzt war es aber wirklich das Ende. Es war grandios extatisch. Der beste Beweis waren die beiden alten Menschen vor uns: die haben mehr mitgetanzt und -gesungen als so manch junger Hüpfer konnte. Ich lehne mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich sage, dass es das beste Konzert war, auf dem ich je war! Ausnahmsweise glaube ich der Band sogar, dass das Publikum eines der besten überhaupt war. Sie waren nämlich alle sichtlich gerührt und sprachlos. Das war so toll. Vorallem, weil wir Hamburger ja immer für kühl und distanziert gehalten werden. Echt super.

Als erfreuliche Abschlussnachricht teilten sie uns noch mit, dass sie dieses Jahr ein neues Album rausbringen wollen. Wohoo. Ich bin hochgradig begeistert! Jetzt muss nur noch »Jennifer Rostock – Das Festival« umgesetzt werden. Das wäre grandios. Der Abend in der Großen Freiheit war ja schon ein Minifestival mit insgesamt vier Acts. Die Leute haben einfach nur gute Ideen.

In diesem Sinne: Nazis raus, Schwanz rein!

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